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Berlin im Oktober

Mo 4. Oktober. Es wird mal wieder Zeit, die Hauptstadt zu besuchen, dachten wir, mal schauen, was noch da ist und was sich verändert hat. So buchten wir ein paar Tage im Motel One am Hauptbahnhof, um von dort aus in die Umgebung auszuschwärmen. Gegen Mittag kommen wir an, checken ein, chillen nur kurz, besorgen uns im Touristenbüro zwei Berlincards und machen uns auf den Weg über die Spree.

Eingangsportal im Foyer des Humboldt Forums
Durch Regierungsviertel, Tiergarten und Brandenburger Tor wandern wir auf die Prachtmeile „Unter den Linden“. Die hat inzwischen den Baustellenstatus verlassen und hat mit breitem Fußgängerstreifen in der Straßenmitte und Bänken links und rechts den Namen Flaniermeile verdient, erinnert mich ein bisschen an die Ramblas in Barcelona. Unser erstes Ziel ist das inzwischen fertiggestellte Berliner Schloss an der Spree, zu Kriegs- und DDR-Zeiten zerstört.

Mit Hilfe von alten Plänen, Fotos und Überresten wurde es neu aufgebaut und ist jetzt öffentlich zugänglich als Humboldt Forum, ein Ort der Kunst und Kultur, heißt es im Flyer, der im Foyer ausliegt. Videoanimationen, Ausstellungen, Workshops werden angeboten. Wir haben allerdings gerade gut damit zu tun, zunächst das Ambiente in der großen Halle auf uns wirken zu lassen.

Schlüterhof im Humboldt Forum
Im Skulpturenraum fasziniert uns eine Filminstallation, in der wir der Arbeit von Bildhauerinnen und Bildhauern zusehen können, die Figuren wieder herstellen oder sogar nach historischen Vorlagen in Steinbrüchen und Werkstätten ganz neu anfertigen. Wenn ich bisher dachte, einen Schlüterhof gibt es nur im Deutschen Historischen Museum auf der gegenüberliegenden Straßenseite, stelle ich nach Verlassen des Gebäudes fest, dass es auch hier einen großen Innenhof namens Schlüterhof gibt.

Erst einmal genug Eindrücke vom Humboldt Forum, wir gehen hinaus auf die Straße, über die Spree und nehmen noch einmal die gesamte Schlossfassade in den Blick, zur Spree hin modern gestaltet und zur Flaniermeile historisch. Weiter geht’s in den kleinen Park. Sind die zwei Freunde noch da, frage ich mich. Ja, Karl Marx und Friedrich Engels in Bronze, immer wieder faszinierend.

St. Marienkirche und Fernsehturm
Zum Alexanderplatz ist es nun nicht mehr weit, über die Straße, vorbei an St. Marienkirche und Fernsehturm, kleine Runde über den Platz, kurz anhalten wegen Polizeieinsatz, weiß nicht warum und ab zur S-Bahn. Für heute reicht es. Abendessen gibt’s im Hauptbahnhof. Bei Hans im Glück bekommen wir vegane Burger, Naturbursche mit Salat und brotloser Kutscher mit Fritten. Zum Chillen im Hotel nehmen wir noch Getränke und Sweeties aus dem Drogeriemarkt mit.

Di 5. Oktober. Nach dem Frühstück ist unser erstes Ziel das Futurium, das sich in unmittelbarer Nähe des Hauptbahnhofs befindet, das heißt vor der Brücke über die Spree ein paar hundert Meter nach links und voilà, schönes neues Gebäude, futuristisch anmutend. Allerdings ist es am Dienstag geschlossen und klar hat inzwischen auch der Regen eingesetzt. Nicht verzagen. Wir gehen über Spree durch das Regierungsviertel zum Tiergarten.

Gedenkstätte für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma
In der Nähe des Reichstagsgebäudes kurz vor dem Brandenburger Tor entdecken wir auf der linken Seite einen verdeckt zugänglichen Bereich. Wir gehen hinein und um ein kreisrundes Wasserbecken herum. Auf einer gläsernen Informationswand wird an Ausgrenzung und Ermordung der Sinti und Roma in der Zeit des Nationalsozialismus erinnert. Seit 2012 gibt es das Denkmal für diese geschundene Minderheit nun schon, wir sind also schon öfter daran vorbeigelaufen.

Denkmal für die ermordeten Juden
Ein paar hundert Meter weiter stehen wir vor einer weiteren Gedenkstätte zur Terrorherrschaft von 1933 bis 1945, dem Denkmal für die ermordeten Juden. Im Regen bummeln wir weiter und entdecken hinter dem Zaun des Ministergartens ein Fries zur Geschichte der Berliner Mauer. Ja, hier ging sie lang und der Potsdamer Platz war bis 1989 ein trostloses Arreal ohne Leben. Daran denke ich jedesmal, wenn ich im Innenhof des Platzes neben DB Hochhaus, Museum und Bistros stehe.

Neue Nationalgalerie von außen
Aber auch durch die schön gestaltete Kuppel regnet es auf dem Platz und bei der Frage nach einem interessanten Ziel fällt uns die neue Nationalgalerie ein. Wir wandern hin, aber hätten vorher ein Ticket buchen müssen, erfahren wir. Na gut. Jetzt fällt uns nur noch die Berlin Mall ein, ein Käffchen könnten wir wohl gebrauchen. Doch wie verhext heute. Im Food Court ist die Hölle los, nirgends ein Plätzchen frei. Schließlich landen wir auf einer Bank in der Ladenzeile und entscheiden, im Hotel weiter zu planen.

U-Bahnhof Brandenburger Tor
Mit der U-Bahn fahren wir zum Brandenburger Tor, eine weitere Entdeckung, denn dieser U-Bahnhof ist neu für uns, sehr schön und informativ gestaltet mit einem Fries zur Geschichte Berlins rund um das Brandenburger Tor. Von hier aus geht die Verbindung direkt in den Hauptbahnhof und schließlich zur Invalidenstraße. Warum nicht gleich, fragen wir uns, als wir nach hundert Metern Fußweg vor der Bar in der Lounge des Motel One gemütlich im Sessel beim Kaffee sitzen.

Wäre doch gelacht, wenn uns für den Rest dieses Berlintages nicht noch was Schickes einfiele. Wo finden wir denn heute Abend veganes Essen zum Beispiel? Vegang in der Kantstraße 33 bekommt doch sehr gute Bewertungen vor allem für die Vorspeise mit Karottenlachs und Auberginen und die Bowl mit knusprig gebratener Ente. Telefonisch Tisch reservieren, chillen und dann mit der S-Bahn Richtung Westkreuz zum Savignyplatz fahren. Von hier aus ist es nur ein Katzensprung.

Restaurant, vietnamesiche Speisen und selbstgemachte Limonaden entsprechen den Bewertungen und begeistern. Empfehlung! Doch noch schön geworden der Tag und ohne Regen gibt’s noch ein Gängelchen durch die alte Berliner Mitte, Kurfüstendamm, Gedächtniskirche, am Breitscheidtplatz schauen, wo früher die Wohltath’sche Buchhandlung war, kleiner Einkauf bei Hugendubel im Europacenter, Wittenbergplatz mit KaDeWe und Budapester Straße zurück zum Bahnhof Zoo, zu DDR Zeiten Berlins Hauptbahnhof, heute Kategorie Friedrichstraße, Alexanderplatz. Von hier aus nehmen wir die S-Bahn Richtung Ostkreuz.

Mi 6. Oktober. Heute ist aber das Futurium angesagt. Als wir kurz vor zehn ankommen, warten schon etliche Schulklassen vor dem Eingang. Wir fragen, ob man uns zwischen den sich sammelnden Gruppen kurz hereinlassen kann. Das geht in Ordnung und ist sogar kostenlos. Jacken und Rucksack im Schließfach verstauen und da stehen wir in einer hellen großen Halle und werden hineingezogen in die Welt der Gegenwart und Zukünfte. Mensch, Natur, Technik.

Wie gestalten wir Zukunft, heißt die Frage, der wir hier nachgehen können, sei es im Umgang mit der Natur, mit dem technischen Fortschritt, Gewinnen von Energie und Hilfen im täglichen Leben. Ein kleiner Roboter sitzt oben an der Treppe am Tisch und erklärt. Ich kann ein Armband nehmen und mit einem Chip Punkte an den Stationen in verschiedenen Bereichen aktivieren, einfach nur auf den Pfeil achten.

In der Ausstellung wird das gesamte Netzwerks Mensch, Natur und Technik in vielfältigen Facetten präsentiert. Können wir in Zukunft Energie erzeugen wie es die Sonne tut, also ohne Ressourcen zu verbrauchen und der Umwelt zu schaden? Wie können technische Hilfsmittel wie Prothesen Funktionen des Körpers ersetzen? Können in Zukunft intelligente Roboter die Arbeit von Pflegekräften machen?

Beim Ablegen des Armbands am Ende der Ausstellung bekomme ich eine Postkarte mit Code zum Abrufen weiterer spezieller Informationen nach meinen Klickpunkten. Wir steigen dann hinauf zum Skyway, der auf dem Dach des Gebäudes um eine riesige Fläche von Sonnenkollektoren herum führt und Blicke sowohl auf die benachbarte Charité als auch über die Spree hinweg auf die Stadt gewährt. Und danach machen wir noch eine Schnupperrunde im Keller mit Stationen zum eigenen Experimentieren. Zur Erinnerung an diesen besonderen Ausstellungsbesuch nehmen wir noch ein schickes knallfarbenes Selfie auf dem Smartphone mit. Heute Nachmittag haben wir noch ein Date im Potsdamer Museum Barberini. Wir haben also noch ein Stündchen zum Chillen im Hotelzimmer.

Alter Markt in Potsdam
Mit unserer 72-Stunden Berlincard fahren wir mit der S-Bahn über das Westkreuz bis zum Bahnhof Potsdam. Das Museum Barberini liegt direkt am alten Markt neben dem Stadtschloss und gegenüber der Nikolaikirche. Im zweiten Weltkrieg war das Gebäude zerstört worden, dank der Stiftung Hasso Plattner originalgetreu wieder aufgebaut worden und beherbergt jetzt die Werke der umfangreichen Impressionismus Sammlung von Hasso Plattner. Die Werke von Monet, Renoir, Sisley, Vlaminck, Pissaro und vielen anderen berühmten Künstlern sind überwältigend schön.

Kein Druck kann die Leuchtkraft dieser Bilder nachstellen. Gepaart mit den Audio Erläuterungen und Geschichten zu jedem Motiv ist der Gang durch die Räume ein einzigartiges Kunsterlebnis. Wir sind dabei, wenn die Protagonisten in Landschaften entlang der Seine malen, in der Stadt Paris und der Peripherie, auf Feldern, Wiesen und in Gärten ihrer häuslichen Umgebung und auf Reisen zu Küstenlandschaften.

Motive finden sie in der Natur, auf Boulevards, Plätzen und in Cafés. Dabei experimentieren sie mit Farben und wechselndem Licht. Einzigartig die Bilder des alternden Claude Monet in seinem liebevoll angelegten Garten in Giverny. Hauptmotiv seiner letzten Lebensjahre waren die Seerosen auf spiegelnden Wasserflächen. „Ich habe lange gebraucht, um meine Seerosen zu verstehen“, wird er zitiert.

East Side Gallery
Do 7. Oktober. Zwar Abreisetag, jedoch haben wir bis zur Abfahrt unseres Zuges noch ein paar Stunden Zeit. Da war doch noch die East Side Gallery. Mal sehen, was aus der geworden ist. Wir fahren bis zum Ostbahnhof und bummeln entlang der Mauer an der Mühlenstraße. Die vor Jahren mal auf 1,3 Kilometer durchgängige Gallery vom Ostbahnhof bis Oberbaumbrücke ist inzwischen unterbrochen von großen und kleinen Baustellen. Dazu mein Gallery Highlight: „Die Beständigkeit der Ignoranz“.

Beide Spreeufer von der Oberbaumbrücke
Wir wechseln die Seite und gehen weiter zwischen Mauer und Spree. Ja, sehr schön dieser Bereich mit etlichen Möglichkeiten zum Verweilen am Ufer und über das Wasser auf die gegenüberliegende Spreeseite zu schauen. Ein paar hundert Meter weiter steht tatsächlich immer noch das Hotel East Side, scheinbar unverändert. Beim Panorama von der Oberbaumbrücke über die Spree, links Kreuzberg, rechts Friedrichshain, denken wir daran, wie trostlos es hier vor etwas mehr als dreißig Jahren aussah.

Beim Bummel entlang der Warschauer Straße entdecken wir auf der rechten Seite den neuen S-Bahnhof und links die East Side Mall. Da gehen wir doch mal durch, dann aber zu unserem Ziel Veganz, vor mehr als sieben Jahren unser allererster veganer Versorger, wo wir heute ein paar Kleinigkeiten (Salat und vegane Ente) einkaufen sowie Cappuccino und Snack für die kurze sonnige Draußenrast besorgen.

Vegan in Berlin

East Side Gallery im November 2006

Ein Gedanke zu „Berlin im Oktober“

  1. Glückwunsch zu diesem wirklich schön geschriebenen Artikel über Berlin.
    Die Bilder und die dazugehörigen Beschreibungen sind wirklich gelungen und
    aufschlussreich.

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