Opern? Nein, danke. Richard Wagner? Charakterschwein. Hat seinem Freund die Frau weggeschnappt, ihm ein Kind untergejubelt und auf Kosten des bayrischen Königs in Saus und Braus gelebt. Dass ich meine Vorbehalte beiseite lege und versuche, diesen umstrittenen Komponisten zu verstehen, hat mit Wilhelm Ruprecht Frielings Opernerzählung zu tun. Er hat den Inhalt vom »Ring des Nibelungen« so nacherzählt, dass ich ihn einigermaßen kapieren kann. Doch worum geht es eigentlich in dieser verrückten Oper? Da wird geheuchelt, intrigiert und gemeuchelt. Beim Kampf um das edle Metall, dem »Rheingold«, bleibt die Liebe auf der Strecke. Heißt also das Motto »Edelmetall oder Liebe«? Darüber wollte ich von Rupi noch ein bisschen mehr wissen und habe ihn befragt:
► Ist das Motto »Edelmetall oder Liebe« die Botschaft von Richard Wagner oder ist es deine Interpretation?
Wagner war ein von sozialistisch-anarchistischen Ideen begeisterter Utopist, der versuchte, das Verhältnis von Kunst und Gesellschaft zu revolutionieren und dies konkret mit seinen Tonschöpfungen bewies. Inhaltlich verließ er die von anderen Opernkomponisten vorgezeichneten konventionellen Bahnen von Schmerz und Leid, von Liebe, Eifersucht und Tod, indem er eine Art Weltentstehungsgeschichte schrieb, bei der besonders den Frauengestalten die Rolle zukam, die ihnen auch historisch zusteht: Es sind starke Persönlichkeiten mit der Kraft, selbständig zu entscheiden.
Sie wehren sich dagegen, als Liebesdienerinnen verkauft zu werden und vertreten eigene Überzeugungen. Dazu zählt auch, dass sie sich für die Liebe entscheiden und es für unvorstellbar halten, dass jemand die Liebe verflucht, um Gold und damit Macht zu bekommen. Genau das aber tut der Nibelungenfürst Alberich, der das Gold verflucht, um den Ring der Macht aus dem geraubten Rheingold zu schmieden. Mit diesem zentralen Konflikt beginnt die gesamte »Ring«-Story.
► Geld und Macht verhindern ein von Liebe geprägtes Miteinander?
Wagner spiegelt in seinem »Ring« alle Facetten der Seele: tiefe Niedergeschlagenheit ebenso wie grenzenlosen Triumph, Wonne und Wahn, Freud und Leid.
Sein Werk ist antiautoritär angelegt, was mir persönlich gut gefällt: Die Macht der autokratisch herrschenden Götter wird gebrochen, die Menschen nehmen ihr Geschick in die eigenen Hände. Doch immer wieder stehen einer friedlichen und freudvollen Entwicklung Raffgier, Missgunst und Neid entgegen.
Wagners »Botschaft« erschließt sich aus der Kenntnis seines Werkes; er träumt von einem freien, selbstbestimmten Menschen, der sich nicht länger knechten und unterdrücken lässt. Für mich ist das eine Vision, die heute ebenso aktuell ist wie vor 150 Jahren.
► Im 19. Jahrhundert gab es eine ganze Reihe herausragender Komponisten mit bemerkenswerten Aufführungen in den großen europäischen Städten. Wie kamst du darauf, dich ausgerechnet mit Richard Wagner zu beschäftigen?
Seit meiner Kindheit faszinieren mich Opern als Gesamtkunstwerke, und ich stehe den Tondichtern des 19. Jahrhunderts entsprechend neugierig und aufgeschlossen gegenüber. Dazu zählen in erster Linie die großen italienischen Komponisten: Gaetano Donizetti steht beispielsweise auf meiner persönlichen Hitliste ganz weit oben.
Als Journalist hatte ich das Glück, ein wenig über Musiktheater schreiben und mich insofern tiefer damit beschäftigen zu dürfen. Das hat das Feuer weiter entfacht. Seit 2006 betreibe ich einen Opern-Blog, mit dem ich anregen möchte, die farbenfrohe Welt der Klassik mit Freude und Gewinn zu besuchen.
Zu Richard Wagner habe ich über die Musik und die Sprache gefunden. Eine Wagner-Oper ist wie ein gigantisches Rockkonzert. »Der fliegende Holländer« geht mir ebenso tief unter die Haut wie die ersten Konzerte von Jimi Hendrix und The Cream, wo ich seinerzeit in den ersten Reihen fieberte.
Wagner steht für mich in direkter Verbindungslinie zu der Musik, die mich in wilden Jugendjahren begeisterte und versprüht zugleich den literarischen Humor, den ich bei Charles Dickens, Alphonse Daudet und anderen Autoren des 19. Jahrhunderts liebe.
Kein Kunstwerk geht mir so unter die Haut, bringt so viele Saiten in mir zum Schwingen wie »Rheingold«, »Holländer« und »Meistersinger« sowie andere Werke aus der Feder des Meisters. Vielleicht ist es ein Reifungs- oder Gärungs- oder Alterungsprozess, der meine Begeisterung für Wagner entfachte, denn früher wäre mir das Operngekreisch gänzlich abgegangen und die Musik greisenhaft erschienen. So veränderte ich mich ohne Not im Laufe der Jahrzehnte, und mein Geschmack entwickelte sich. Eine konsequente wenn auch unerwartete Entwicklung!
► Insbesondere Wagners Mammutwerk, die Tetralogie »Der Ring des Nibelungen«, hast du dir vorgeknöpft und eine Opernerzählung geschrieben. Hast du dich dabei streng an die Libretti gehalten?
Wagners »Ring« ist wohl die komplexeste Tondichtung der Musikgeschichte. Ich habe mich ausführlich mit seinen Quellen, beginnend mit dem »Nibelungenlied« aus dem 12. Jahrhundert, beschäftigt und dazu viele Originalquellen gelesen.
Bei meinen Besuchen von Aufführungen bin ich immer wieder auf die Tatsache gestoßen, dass es keinen jungen zeitgemäßen Opernführer gibt, der mir das komplexe Werk und seine Hintergründe und Bezüge erschließt. Deshalb habe ich kurzerhand selbst vier Opernführer zu den vier Opern, die den »Ring« bilden, in heutigem, umgangssprachlichem Deutsch verfasst und als E-Books veröffentlicht. Dabei halte ich mich streng an das von Wagner selbst verfasste Libretto, das auch den Inszenierungen zugrunde liegt. Den Einzelbänden habe ich das Original-Libretto hinzugefügt, damit der Leser vergleichen kann. Den vollständigen Opern(ver)führer »Der Ring des Nibelungen« gibt es – ohne Libretti – sowohl als Elektro- wie als Papierbuch.
► Du sagst, du hast etliche Aufführungen besucht. Wo war das und wie hast du die erlebt?
Wie viele Wagner-Inszenierungen ich im Laufe der Jahrzehnte gesehen habe, weiß ich nicht. Es sind sicherlich weit über hundert. Ich war unter anderem in Bayreuth, Salzburg, Frankfurt, Mailand, Genf, Paris, London und New York. Ich durfte Aufführungen an mächtigen Häusern erleben, wo Geld für Ausstattung und Spitzensänger keine Rolle spielen wie auch an kleinen Häusern, in denen versucht wurde, Wagner mit bescheidensten Mitteln darzubieten.
Dabei gab es aus meiner Sicht großartige werkgetreue Inszenierungen, es gab auch mächtige Flops, die keiner Erinnerung wert waren. Insgesamt positiv finde ich die Entwicklung, dass nicht mehr nur fette Matronen mit gewaltigem Brustkorb und entsprechend beleibte Herren interpretieren. Inzwischen gibt es eine Generation jüngerer Sänger, denen man ihre Rollen (z.B. als schwertschwingende jugendliche Liebhaber und Drachentöter) auch abnimmt.
Das große Problem von Neuinszenierungen besteht aber letztlich darin, dass jeder Regisseur besonders glänzen möchte und krampfhaft versucht, dem Stoff irgend etwas Neues abzugewinnen. Wenn ein Regisseur (wie jüngst in Mailand geschehen) beispielsweise versucht, Elsa von Brabandt, die weibliche Hauptpartie in Wagners »Lohengrin«, als eine vom Burnout-Syndrom geplagte Dame darzustellen und daraus ihr Handeln erklärt, dann bleibt mir nur ein Kopfschütteln.
► Besondere Freiheiten der Interpretation der Ring-Tetralogie nimmt sich die Theatergruppe Kaminski ON AIR mit dem herausragenden Schauspieler Stefan Kaminski und vier wunderbaren Musikern. Mit allen zur Verfügung stehenden Ausdrucksmitteln wie Textgestaltung, Songs, Stimmen, Mimik, Instrumente, Bühnen- und Lichteffekte experimentiert die Gruppe mit dem Stoff und inszeniert das von dir herausgearbeitete Motto eindrucksvoll. An diesem Projekt bist du beteiligt. Willst du darüber noch ein bisschen erzählen?
Stefan Kaminski ist ein Ausnahmetalent. Ebenso wie ich wurde er bereits beim ersten Hören von Wagners »Ring« elektrisiert. Äußerst geschickt und ohne Wagner ein Haar zu krümmen, seziert er den Stoff und schuf eine Art »Heavy-Metal-Oper«, die als dreidimensionales Live-Hörspiel dargeboten wird. Mich hat seine Arbeit derart überzeugt, dass ich die vierteilige Show produzierte, die im Ergebnis inzwischen auf DVD und CD erhältlich ist.
Formaler Anlass war das Wagner-Jahr 2013, in dem der 200. Geburtstag des Komponisten gefeiert wird. Kaminski ON AIR gastiert deshalb auch mit dem Vierteiler bei großen Opern- und Schauspielhäusern in Berlin, Wien, Luxemburg, Frankfurt sowie in der »Höhle des Löwen«, in Bayreuth.
► Hast du dich bei deinen Recherchen über den musikalischen und literarischen Bereich hinaus auch für die politischen Gegebenheiten des spannenden 19. Jahrhunderts interessiert? Wie ordnest du im Zusammenhang mit der deutschen Revolution und den Anfängen der Demokratiebewegung die Rolle von Richard Wagner ein?
Es liegt auf der Hand, sich auch mit den gesellschaftspolitischen Gegebenheiten des 19. Jahrhunderts zu befassen, wenn man sich Wagner nähern möchte. Der Komponist selbst war bekanntlich ein revolutionärer Geist, der nicht nur mit dem konsequenten Einsatz der Leitmotivistik die Musikgeschichte umkrempelte. Er war auch ein politisch heller Kopf, der aktiv für die Freiheitsideale des Vormärz kämpfte. Wagner kannte Heinrich Heine, er beschäftigte sich ausführlich mit den Thesen Feuerbachs und den Schriften des Anarchisten Proudhon. All das brachte ihn zu seiner Aussage, die später den roten Faden im »Ring des Nibelungen« bildete: »Solange Eigentum Privilegien birgt, solange bedeutet privilegiertes – also erpresserisches – Eigentum Diebstahl«.
1848 schloss Wagner sich der Märzrevolution in Dresden an, wo er Michail Bakunin kennenlernte. Er stritt für eine grundlegende Theaterreform am Hoftheater und entwickelte seine Idealvorstellungen über den Stellenwert der Kunst in der Gesellschaft. Im Folgejahr beteiligte er sich am Dresdener Maiaufstand, wurde darauf steckbrieflich gesucht und musste aus Deutschland fliehen.
► Wagner war zu Lebzeiten und ist heute heftig umstritten. Das ging und geht von strikter Ablehnung bis zur totalen Begeisterung. Wie erklärst du dir das?
Wie kaum ein anderer Künstler hat Wagner schon zu Lebzeiten stark polarisiert. Der von sich selbst als »Genie« überzeugte Egomane muss wohl, nach allem was wir heute über ihn wissen, ein ziemliches Arschloch gewesen sein. Er galt als »Pumpgenie« und beglich seine Schulden nicht, er lebte gern auf größerem Fuße, als ihm seine Einkünfte erlaubten, und er versuchte auf alle möglichen Arten seine Minderwertigkeitskomplexe zu kompensieren. Dazu zählte sicherlich sein aufgebauschter Antisemitismus, mit dem er gemeinsam mit seiner Frau Cosima versuchte, von der höheren Gesellschaft anerkannt zu werden.
Auf der anderen Seite hatte er viele jüdische Freunde und vertraute zum Ende seines Lebens die Uraufführung seines »Parsifal« Hermann Levi an, der Sohn eines Rabbiners war. In seinem Werk, und das ist wohl das Wesentliche, lässt sich zum Glück keine antisemitische Zeile finden.
Problematisch für unseren Umgang mit Wagners Werk ist aber auf jeden Fall die Begeisterung Adolf Hitlers für die Oper »Rienzi«, die der Anstreicher aus Österreich in seiner Münchener Zeit laut Aussage in »Mein Kampf« häufiger besucht haben will als sie überhaupt gespielt wurde. Das Vorspiel dieser Wagner-Oper wurde nach der Machtergreifung zur Eröffnung der NSDAP-Parteitage gespielt. Damit wurde die symphonische Dichtung als »Nazi-Musik« abgestempelt, und Wagner gilt seitdem als »Brauner«.
Wer sich heute mit Wagner beschäftigt und beispielsweise die Inszenierung von Kaminski ON AIR erlebt, dem fällt es wie Schuppen von den Augen: Der »Ring« als Gesamtkunstwerk hat nicht das Geringste mit dem völkischen Dumpfbackenungeist der Nazis und ihrer kulturlosen Anhängerschaft gemeinsam. Wagners Werk ist musikalisch hochmodern und politisch brandaktuell wie weniges, das uns der Opernbetrieb liefert.
Ich glaube, es gibt bei der »Wagner-Ampel« nur rot und grün aber kein Dazwischen: Entweder man ist hingerissen oder man wendet sich mit Grausen ab. Der Mann polarisiert wie sonst kaum einer, denn wer streitet sich schon über Verdi, Donizetti, Meyerbeer, Mozart oder Stockhausen. »Normalerweise« geht es um Geschmack, man mag die Musik oder man mag sie nicht.
Bei Wagner geht es immer um Weltanschauung, und allein dieser Aspekt ist schon schräg. Das sollte jedoch niemanden davon abhalten, sich auf Wagner einzulassen und eine eigene Meinung zu bilden.
► Stichwort »Weltanschauung«. Warum schräg? Darüber und über die Vision »von einem freien, selbstbestimmten Menschen, der sich nicht länger knechten und unterdrücken lässt« muss ich jetzt mal nachdenken und danke dir einstweilen für dieses Gespräch, Rupi.
Hier geht es zu einem ganz besonderen Opernführer, zu Wilhelm Ruprecht Frielings Opern-Blog und zur Homepage von Stefan Kaminski und seinen Mitspielern:
Der Ring des Nibelungen I – IV
Wilhelm Ruprecht Frielings Opern-Blog
Rezension zu „Der Ring der Nibelungen“: Edelmetall oder Liebe
Liebe Renate, lieber Wilhelm
vielen Dank für dieses erhellende Gespräch!
Ich selbst kann der Musik von Richard Wagner nichts abgewinnen!
Ich bin allerdings sehr dankbar für euren Artikel, denn er hat mir meine Vorurteil gegenüber Wagner abgebaut und ich kann ihn und seine Persönlichkeit mehr akzeptieren!
Das ist auf jeden Fall ein tolles Ergebnis eures Interviews!
Herzliche Grüße
Chris
Ja, wirklich ein tolles Ergebnis.
Danke für das schöne Feedback, liebe Chris.
Liebe Grüße
Renate
Dankeschön, Chris!
Das ist mehr, als man zu hoffen wagt.
Ein Opernfan hat in Bayreuth
Sich auf die Walküre gefreuth
Als die vor ihm stand
Mit Speer und Gewand
Hat er es bald bitter bereuth
Prinz Rupi zu Besuch bei Herrn Plana:
http://planas-buchantiquariat.din-a4-story.de/zu-besuch-im-antiquariat-prinz-rupi/
Herr Plana lässt grüßen!
Renate freut sich und grüßt zurück 😉