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Kafka in Berlin

Wenn ich gegen Mittag im Berliner Hauptbahnhof ankomme, hab ich noch ein paar Stunden Zeit, „Franz Kafka. Der ganze Prozess“ im Martin-Gropius-Bau zu besuchen. Das heißt erst einmal, mich via WLAN im ICE 845 zur Ausstellung informieren. 171 Blätter des Originalmanuskripts des Romans „Der Prozess“ werden in einer eigens dafür gebauten Vitrine ausgestellt. Im Nebenraum gibt es Fotos, Übersetzungen und eine zeittypische Schreibmaschine. Außerdem wird die Orson Welles Verfilmung gezeigt. Als ich jedoch in einem hervorragend recherchierten Artikel des Berliner Tagesspiegel lese, beim Besuch der Ausstellung käme man dem Romanautor kein bisschen näher, werde ich unsicher. Soll ich oder soll ich nicht? Nun, ich denke an den Affen Rotpeter im „Bericht für eine Akademie“, „Der Bau“, „Auf der Galerie“ und etliche andere Texte, die mich nach der Lektüre nicht mehr loslassen. An Franz Kafka in Berlin geht für mich kein Weg vorbei.

Vom Hauptbahnhof fahre ich mit dem Bus M41 Richtung Potsdamer Platz und betrete wenig später den Gropius-Bau. Eine mächtige Marmortreppe führt ins Obergeschoss. Kafka Portrait in Großformat und Hinweisschild führen zur Eingangstür. Und da stehe ich im abgedunkelten Raum vor der viereckigen Vitrinenkonstruktion. Wo anfangen? Nun beim ersten Manuskriptblatt mit dem vielzitierten Romananfang „Jemand mußte Josef K. verleumdet haben, denn ohne daß er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet.“ Ursprünglich hatte der Autor „gefangen“ geschrieben, durchgestrichen und durch „verhaftet“ ersetzt. Scharfes S oder Doppel S bei „mußte“ und „daß“? Egal. Die unvergleichliche Handschrift des Meisters. Blatt für Blatt weiter um die Vitrine herum, noch mal zurück. Im Nebenraum Übersetzungen in viele Sprachen, Schreibmaschine, Fotowand. Interessant, aber kenne ich die Fotos nicht schon von Wagenbachs „Franz Kafka. Bilder aus seinem Leben“?

Und dann denke ich doch tatsächlich: „Was soll jetzt das Ganze?“ Im angrenzenden Raum wird der Orson Welles Film von 1962 gezeigt, die nächste Vorstellung beginnt in einigen Minuten. Das passt doch. Platz finden. Warten. Endlich. Aber irgendwie springt mich die Szenerie nicht an. Ist das die Sprache von Franz Kafka? Der eine oder andere Mitgucker verlässt den Raum. Darüber denke ich auch nach. Halte ich das 118 Minuten durch? Immerhin fasziniert der Hauptdarsteller. Anthony Perkins ist Josef K. Ich folge ihm durch das Labyrinth von Aktenbergen, staubigen Dachböden, endlosen Treppen und verschlossenen Türen. Skurrile Gestalten beschwatzen ihn, wuseln um ihn herum, doch keine echte Begegnung dabei. Mysteriös, chaotisch, surreal. Josef K., im Film „Kay“ genannt, verliert sich in Alpträumen. Mittlerweile finde ich es spannend. Wie geht der rätselhafte Prozess weiter? Keine Sekunde versäumen, bis zur überraschenden Schlussszene.
Chapeau Orson Welles (1915 – 1985).

Danach nehme ich mir den ganzen Prozess noch einmal auf dem Reader vor und stelle bereits beim Lesen der ersten Seiten fest, dass ich nie einen besseren Text gelesen habe.
Chapeau Franz Kafka (1883 – 1924).

„Franz Kafka. Der ganze Prozess“ im Martin-Gropius-Bau am 16. August 2017

Ein Gedanke zu „Kafka in Berlin“

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